Thema: Urteil Verwaltungsgericht Stuttgart vom 14.10.2013, Az: 11 K 2941/13
Nach einigem hin und her zwischen zwei Gerichten siegt letztlich die Vernunft und lässt eine benötigte Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber im „Handwerkergebiet“ im Baden-Württembergischen Städtle Fellbach-Oeffingen zu.
Im vorliegenden Fall ging es dabei weniger um sozialpolitische Meinungsverschiedenheiten als vielmehr um selten so interessantes Baurecht.
Bereits im September 2012 hatte eine Privatperson die Erteilung einer Baugenehmigung zur Nutzung seines Gebäudes als Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber beantragt.
Baugenehmigung? Das Gebäude existiert doch schon! Eine Baugenehmigung ist nicht nur für neu zu errichtende Gebäude notwendig, sondern auch, wenn sich die Art der Nutzung eines bereits bestehenden Gebäudes ändern soll. Das Gebäude dieser Privatperson befand sich in einem Gewerbegebiet und diente deshalb bislang noch nicht der Unterbringung von Menschen.
Wissenswert: Gewerbegebiete sind grundsätzlich einer Nutzung durch Gewerbebetriebe vorbehalten, da von ihnen besondere Umwelt- und Lärmbeeinträchtigungen ausgehen, die mit einem Wohngebiet unverträglich sind.
Besagte Privatperson erkannte die schlechte Wohnungsmarktsituation und entschied sich kurzerhand, den steigenden Asylbewerberzahlen mit der Bereitstellung seines Gebäudes auszuhelfen. Die Stadt Fellbach war ganz seiner Ansicht und kam der Bitte durch Erteilung der Baugenehmigung nach.
Verwaltungsgerichtshof verbietet Nutzung jedoch vorerst
Jedoch nicht zur Freude aller Einwohner der Stuttgarter Nachbarstadt. Per Eilantrag beim Verwaltungsgericht Stuttgart widersprachen einige Eigentümer von Grundstücken im Gewerbegebiet der Baugenehmigung und begründeten dies mit der Unverträglichkeit eines Wohnheims mit dem Charakter eines Gewerbegebiets.
Wissenswert: Die Ansiedlung von Einwohnern in einem Gewerbegebiet kann dazu führen, dass der im Gewerbegebiet übliche Betrieb von immissionsstarken Maschinen und Kraftfahrzeugen aus gesundheitlichen Aspekten eingeschränkt werden muss.
Die Verwaltungsrichter lehnten den Widerspruch der anliegenden Grundstückseigentümer jedoch ab, sodass die Angelegenheit in Form einer Beschwerde als nächstes zum ranghöheren Verwaltungsgerichtshof aus Baden-Württemberg gehen sollte.
VGH: Gewerbegebiet als Lebensmittelpunkt für Menschen ungeeignet
Und hier war man plötzlich anderer Ansicht. Die Baugenehmigung verletze womöglich das Recht der Antragsteller auf Bewahrung der Gebietsart „eingeschränktes Gewerbegebiet“. Denn eine Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber stelle eine „wohnähnliche Nutzung“ des Gebäudes dar, was sich mit der typischen Eigenart eines Gewerbegebiets nicht vertrage. Da ein gewöhnliches Asylbewerbungsverfahren durchschnittlich 13 Monate dauere und die Bewerber während dieser Zeit den typischen Immissionen wie Umwelt- und Lärmbeeinträchtigungen ausgesetzt seien, dürfe ein Gewerbegebiet nicht den Lebensmittelpunkt der Flüchtlinge darstellen.
Aus diesen Gründen ordnete der Verwaltungsgerichtshof erst einmal die aufschiebende Wirkung des Eilantrags an.
Wissenswert: Die aufschiebende Wirkung im Baurecht hat zur Folge, dass Bauvorhaben bis zu einer richterlichen Entscheidung (bsp: Urteil) nicht umgesetzt werden dürfen.
Mangel an Unterbringungsmöglichkeiten kann von Festsetzungen im Bebauungsplans befreien
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg wies in seiner Entscheidung gleichzeitig auf die Möglichkeit hin, aus Gründen des Allgemeinwohls den Bebauungsplan gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 1 des Baugesetzbuches von seinen Festsetzungen hinsichtlich der Nutzungsart als Gewerbegebiet zu befreien. Akuter Wohnungsmangel ist der wohl häufigste Grund, eine Befreiung vom Bebauungsplan aus Erforderlichkeit des Allgemeinwohls zu erreichen.
Und dies war letztlich die Vorgehensweise in Fellbach-Oeffingen, um das Asylbewerberheim baurechtlich doch noch möglich machen zu können. Das zuständige Regierungspräsidium Stuttgart sprach eine Befreiung von der festgeschriebenen Nutzungsart des Bebauungsplans aus, woraufhin die Stadt Fellbach lediglich noch die Abänderung des Beschlusses vom Verwaltungsgerichtshof beim Verwaltungsgericht Stuttgart beantragen musste, Az.: 11 K 2941/13.